Nervensystem, Tränenbildung, Lidschlag und Schmerz

Die Augenoberfläche wird durch das Nervensystem aus den peripheren Nerven und dem Zentralen Nervensystem gesteuert. Reize von der Augenoberfläche beeinflussen die Steuerung der Drüsen und Lidmuskeln. Tränenbildung und Lidschlag werden im Hirnstamm gesteuert und in der Hirnrinde wahrgenommen. Wenn der Reiz von der Augenoberfläche sehr stark ist, kann ein ´paradoxes´ feuchtes Trockenes Auge entstehen, oft mit Tränenträufeln über den Lidrand. Wenn aber die Nervenfasern an der Augenoberfläche durch die Schädigung des Gewebes beim Trockenen Auge gestört sind vermindert sich die Tränenbildung.

Der Lidschlag erfolgt reflektorisch, aber er wird durch äussere Reize von der Oberfläche und durch innere Signale aus der Hirnrinde beeinflusst. Erhöhte Aufmerksamkeit durch konzentrierte Sehaufgaben führen zu seltenem Lidschlag und kann zu Augentrockenheit beitragen. Häufige unkonzentrierte ´nervöse´ Lidschläge sind oft inkomplett und lassen dabei ebenfalls einen Teil des Auges austrocknen.

Schmerz ist mehr als ein einfacher wahrgenommenen Reiz. Schmerz ist ein komplexes negatives Gefühl, das von verschiedenen Gehirnzentren ´bewertet´ und beeinflusst wird. Dies kann dazu führen, dass sich beim chronisch gereizten Trockenen Auge eine Störung des Schmerzsystems entwickelt. Dabei tritt typischerweise eine Differenz/ Disparität zwischen dem sichtbaren klinischen Befund und der subjektiv empfundenen Stärke der Beschwerden auf.

Beim Trockenen Auge kann es zu komplexen Störungen des Schmerzsystems kommen, die zur Entstehung eines chronischen Schmerzsyndroms führen können. Dies erfordert gegebenenfalls eine ebenso komplexe Behandlungsstrategie, die über eine effektive ophthalmologische Lokal-Therapie hinausgeht.

Das Nervensystem reguliert die Funktion der Augenoberfläche

Die Augenoberfläche wird durch das Nervensystem aus den peripheren Nerven und dem Zentralen Nervensystem gesteuert.

Das Nervensystem dient

Neben dem Nervensystem sind auch andere Regulationssysteme wie das Hormonsystem und das Immunsystem daran beteiligt, die Augenoberfläche gesund zu erhalten.

Wichtige Funktionen wie die Tränensekretion und ein ausreichender Lidschlag werden überwiegend reflektorisch, also automatisch, reguliert.

Zumindest beim Lidschlag gibt es aber eine willkürliche Möglichkeit zur Beeinflussung,

  • So sind z.B. willkürlich durchgeführte Lidschläge und besonders kraftvoll durchgeführte Lidschläge möglich, die helfen können die Befeuchtung des Auges zu verbessern (Blinzel-Übung).

  • Bei Sehaufgaben mit starker Konzentration kann der Lidschlag teilweise unterdrückt werden, so dass ein seltener Lidschlag entsteht, der nicht ausreicht zur Befeuchtung.

  • Es kann aber auch zu häufig geblinzelt werden, bedingt durch eine Sehaufgabe oder einfach durch ´Nervosität´. Dies ist oft mit inkompletten Lidschlägen (´Nervösen Lidschlägen´) verbunden, die das Auge im unteren Bereich unbefeuchtet lassen.

Externe Reize beeinflussen die Steuerung der Augenoberfläche

Die sensorische Reizung der Augenoberfläche beim Trockenen Auge, z.B. durch Trocknung, Reibung, Hyperosmolarität oder Verletzung, gelangt als Signal über die sensiblen Gesichts-Nerven (Hirnnerv V, N. trigeminus) zum zentralen Nervensystem (ZNS).

Dort werden die Signale verarbeitet und die Funktion des Auges nach Bedarf automatisch reguliert im Hirnstamm.

Störungen der Nervenregulation können zu Veränderungen der Tränensekretion und des Lidschlages führen, z.B.:

Tränenbildung und Lidschlag werden im Hirnstamm gesteuert und in der Hirnrinde wahrgenommen

Über Nervenfasern, die von Hirnstamm und Gehirn zum Auge zurück laufen, über den sekreto-motorischen Gesichtsnerv (Hirnnerv VII, N. facialis), werden z.B. der Tränenfluss und der Lidschlag reguliert.

Gleichzeitig wandern Signale auch zur Hirnrinde, so dass sie bewusst wahrgenommen werden können und bei Bedarf bewusst reagiert werden kann.

Dieser Regelkreis aus sensorischen Nerven zum Gehirn und motorischen Nerven zurück in die Peripherie ist wichtig für die automatische Regulation von Tränenflusses und Lidschlag entsprechend den aktuellen Bedürfnissen an der Augenoberfläche.

Die entzündliche Schädigung von Nervenfasern der Hornhaut ist das wesentliche Konzept für zunehmenden Tränenmangel

Störungen der Oberfläche des Augapfels, vor allem der Kornea, schädigen die zahlreichen sensiblen Nervenfasern, die wichtig sind für die Aufrechterhaltung des automatischen Regelkreises für die Tränenbildung.

Obwohl dies oft durch chronische Trockenheit der Augenoberfläche und nachfolgende Entzündungsreaktionen eintritt, führt es überraschenderweise nicht zu einer Steigerung der Tränenproduktion. Im Gegenteil führt die Schädigung der Nervenfasern am Auge zu einer Verminderung der Tränenbildung.

Die Störung des Regelkreises für Tränenbildung durch Entzündung der Augenoberfläche beim Trockenen Auge ist ein wichtiges Konzept zum Verständnis, warum die Tränenmenge mit zunehmender Schwere des Trockenen Auges weiter abnimmt. Dies ist ein wichtiger Mechanismus der Selbstverschlimmerung beim Trockenen Auge und erklärt, warum auch bei einem Trockenen Augen durch Ölmangel mit vermehrter Verdunstung später typischerweise die wässrige Tränensekretion weniger wird.

Gleichzeitig kann dies auch erklären, warum bei einer entzündungshemmenden lokalen Therapie (z.B. durch Cyclosporin Augentropfen) mit Besserung des Zustandes der Augenoberfläche eine Steigerung der Tränenbildung beobachtet wurde.

Feuchtes Auge und Tränenträufeln

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Wenn der Reiz von der Augenoberfläche sehr stark ist, kann dies zu einem feuchten Auge, oft mit Tränenträufeln über den Lidrand, führen.

Dieses ´feuchte´ Trockene Auge wird gelegentlich auch als ´paradoxes´ Trockenes Auge bezeichnet.

Vermehrter Tränenfluss ist eine Schutzreaktion (Tränenreflex). Das gereizte Auge versucht so den Reiz durch starke Tränenproduktion wegzuspülen, wie dies bei einem Fremdkörper oft funktioniert. Bei chronischer Reizung des Auges selbst funktioniert dies aber leider nicht.

Dies führt zu einem Überlaufen der Tränen (Epiphora) über den Lidrand (animierte Abbildung).

Andere Gründe für ein Feuchtes Auge können sein:

  • Veränderungen des Augenlids in seiner Form oder Stellung, z.B. Einwärts- oder Auswärts-Rollung des Lidrandes.

  • Störungen im Abfluss der Tränen in die Nase, entweder weil der Lidrand etwas vom Auge absteht oder weil eine Verstopfung der Ableitenden Tränenwege besteht.

Das Aufbrechen des dünnen Tränenfilms wird sichtbar, wenn die Tränen mit dem Fluorescein-Farbstoff angefärbt werden, der im blauen Licht betrachtet wird. Ein Aufbrechen ist sichtbar als dunkler Bereich (hier in der Mitte des "C" vom OSCB-Overlay). Das Aufbrechen des Tränenfilms ist der Stimulus, der einen Lidschlag auslöst, um einen neuen Tränenfilm zu verteilen.

Die Verarbeitung der Nerven-Signale von der Augenoberfläche ist komplex und wird von verschiedenen Zentren im ZNS beeinflusst.

Der Lidschlag wird im Prinzip durch den Lidschlag-Reflex gesteuert. Wenn der Tränenfilm auf der Augenoberfläche aufbricht, kommt es zu einer beginnenden Austrocknung des Gewebes mit Reizung der dort liegenden Nervenendigungen.

Dadurch wird ein Lidschlag ausgelöst, der einen neuen gleichmässigen Tränenfilm ausbreitet und damit den Nervenreiz wieder zum Verschwinden bringt.

Der reflektorische Lidschlag geschieht weitgehend unbewusst, obwohl ein Lidschlag natürlich bewusst wahrgenommen werden kann und auch bewusst gesteuert werden kann.

  • Bei erhöhter Aufmerksamkeit durch anstrengende Sehaufgaben kann der Lidschlag bewusst verzögert oder unterdrückt werden.

  • Dies betrifft viele alltägliche Tätigkeiten, z.B. beim Lesen, vor allem an Computer-Bildschirmen, beim Fernsehschauen oder auch beim Autofahren, vor allem bei Nacht, usw.

  • Dann wird das Auge länger offen gehalten, um den ´wichtigen´ Seheindruck nicht zu unterbrechen, auch wenn schon ein Trockenheits-Reiz von der Augenoberfläche kommt.

  • Der Lidschlag kann deutlich seltener erfolgen als der Normalwert von ca. 5-10 mal pro Minute. Da der Tränenfilm nur etwa 10-20 Sekunden stabil ist, kann dann die Augenoberfläche leicht trocken werden.

  • So kann seltenes Blinzeln ein Trockenes Auge erzeugen oder verschlimmern.

  • Andererseits kann nicht nur die Häufigkeit sondern auch der komplette Ablauf eines Lidschlages beeinflusst werden.

  • Beim ´nervösen Lidschlag´ durch Unkonzentriertheit, Nervosität, oder habituell durch Gewohnheit, kann der Lidschlag häufiger als notwendig durchgeführt werden und ist dabei oft inkomplett, ohne dass dies bewusst wahrgenommen wird.

  • Inkompletter Lidschlag bedeutet, dass sich das Oberlid beim Lidschluss nicht komplett schliesst. Daher kann der Tränenfilm nicht komplett erneuert werden kann. Der unterer Teil des Tränenfilms bleibt dann immer relativ trocken und dort finden sich vermehrt Beschädigungen der Zelloberfläche.

  • Inkomplette Lidschläge sind recht häufig und sind daher ein häufiger Ko-Faktor beim Trockenen Auge. Allerdings werden sie vom Patienten selbst nicht bemerkt und sind vom Arzt teils nur schwer zu diagnostizíeren ohne spezielle Geräte.

Reiz, Irritation und die Verarbeitung zum Schmerz-Gefühl

Es gibt prinzipiell einen gewissen Unterschied zwischen der reinen ´Wahrnehmung´ eines Reizes von der Augenoberfläche, der in der Hirnrinde (Kortex) erfolgt, und der Bewertung diese Reizes im ´untergeordneten´ Limbischen System.

´Schmerz´ ist keine Wahrnehmung im eigentlichen Sinne, sondern eine Konstruktion des Gehirns.

Diese Konstruktion resultiert aus der emotionalen Bewertung einer Wahrnehmung. Die Bewertung erfolgt vor allem im sogenannten limbischen System und durch andere emotionale Instanzen. In die subjektive Bewertung fliessen zahlreiche weitere Dinge, wie Erfahrungen und Erwartungen etc. ein.

Allerdings sind für den individuellen Menschen die beiden Instanzen von ´Wahrnehmung´ und dem, was als ´Schmerz´ erscheint, nicht immer sauber zu trennen. So ist letztlich ist nicht immer ganz klar, wer von den verschiedenen Instanzen im Gehirn ´Koch oder Kellner´ ist.

An der Augenoberfläche bedeutet dies, dass die Stärke eines Reizes an der Augenoberfläche und die Schmerzgefühle, die der Patient subjektiv wahrnimmt nicht immer eng verbunden sind.

Unterschied zwischen klinischem Befund und Wahrnehmung des Patienten

Es ist typisch für das Trockene Auge, dass die Schwere der subjektiven Symptome des Patienten im Sinne von Schmerzen nicht immer mit den klinisch feststellbaren Befunden übereinstimmen.

Schmerz basiert auf subjektiver Bewertung

Daher kann die subjektive Bewertung eines Reizes von der Augenoberfläche durchaus über die objektive Wahrnehmung dominieren. Dies kann von der ´Tagesform´ des einzelnen Menschen abhängen, kann aber auch bei verschiedenen Menschen interindividuell sehr unterschiedlich sein.

Das kann sich so äussern, dass die subjektiven Symptome einen starken Leidensdruck des Patienten bewirken während klinisch wenig oder manchmal keine objektiven Befunde feststellbar sind - hier ist unter Umständen an ein Schmerzsyndrom zu denken.

Andererseits kann aber auch ein Patient mit erheblich ausgeprägten klinischen Befunden, z.B. einer anfärbbaren Oberflächenschädigung (Vitalfärbung), nur wenig oder keine subjektiven Symptome im Sinne einer Reizung oder von Schmerzen haben. Solch ein Patient wird dann vermutlich wenig Neigung zu einer medizinisch vielleicht angezeigten Therapie haben.

Schmerz-Syndrom

Störung der Schmerz Verarbeitung können zu einem Schmerz-Syndrom führen.

Schmerz hat den biologischen Sinn auf eine Beschädigung des Körpers hinzuweisen und damit ein Signal für Gefahr zu geben. Bei andauernden chronischen Schmerzreizen können Störungen im Bereich des Schmerzsystems auftreten. Weiterleitungswege der Nerven im Schmerzsystem können dann gebahnt werden und sich zunehmend verfestigen. Dann kann ein Schmerzeindruck weiter bestehen, auch wenn die Schmerzreize am Körper abnehmen oder der Gewebeschaden bereits geheilt ist.

Damit hat dann ein Schmerz seinen eigentlichen Sinn als Warnsignal verloren und wird zu einem Teil der Krankheit. Diese Schmerzen werden als “Neuropathische” Schmerzen, also krankhafte Schmerzen, beschrieben.

Das bedeutet, dass für den Patienten ein subjektiver Schmerzeindruck weiter bestehen kann, obwohl durch eine erfolgreiche Therapie des Trockenen Auges bereits eine Besserung am Zustand der Augenoberfläche eingetreten ist.

Psychosomatische Einflüsse

Psychosomatische Einflüsse auf ein Krankheitsgeschehen und auf die Wahrnehmung durch den Patienten sind seit langen Jahren ein etablierter und ernst zu nehmender Teil der Medizin. Neben anderen Symptomen wie, z.B. unspezifischen Rückenschmerzen, funktionellen Herz-Kreislaufbeschwerden oder Verdauungsstörungen, können Psychosomatische Einflüsse, nach vielen Studien, auch beim Trockenen Auge eine Rolle spielen.

Wenn die Beschäftigung mit der Erkrankung der wichtigste Teil des Lebens wird, könnte dies ein Anlass sein, auch die Hilfe der Psychosomatik zu suchen.